Written by Christian Poessnicker on September 2021
Naja „for free!“ ist etwas übertrieben, da etwas Zeit und Geduld investiert werden muss. Aber an Flexibilität ist der Reverb mit Plugins aktuell nicht zu überbieten.
Die Idee ist ganz einfach. Computer Game Engines simulieren Schallwellen und deren Ausbreitung und Reflexion an Wänden und Objekten (Wavetracing). Der Gedanke dahinter ist, dass Klangobjekte in der 3d Game Welt platziert werden können welche dann akustisch Informationen über deren Position im Raum und die Raumgegebenheiten (Halle, Korridor, Höhle, etc.) wiedergeben.
Dies hilft dem Spieler sich in der Spielwelt zurechtzufinden, Gegner zu orten und das Erlebnis „Immersiver“ zu gestalten.
Soweit so gut.
Soll nun in der Musikproduktion ein Sound mit Hall versehen werden, so hat man klassischerweise zwei Optionen:
Zum einen können algorithmische Hall Simulationen verwendet werden. Hier wird der Hall, wie der Name schon verrät, algorithmisch berechnet.
Die zweite Option sind Impulse Response Reverbs. Hierbei wird die Raumantwort eines reellen Raumes als Impuls aufgezeichnet und kann dann auf ein Signal gerechnet werden.
Die Vorteile eines algorithmischen Halls sind die immense Flexibilität und die umfangreichen Klangformungsmöglichkeiten. Endlos reverbs, kurze slap reverbs, alles ist möglich.
Häufig können diese reverbs ihren „künstlichen“ Charakter aber nicht verbergen.
Dies ist natürlich nicht schlimm, da es in der Musikproduktion selten um akustischen „Realismus“ geht.
Wenn es dann aber um überzeugende Räume geht führt kein Weg am impulse response reverb vorbei.
Die Hallantworten sind meist ohne viel Arbeit absolut überzeugend, geben den Produzent*innen allerdings wenig Flexibilität.
Hier kommen Game Engines ins Spiel:
Es ist nun möglich einen Raum in der Engine zu designen und den Wänden phonetische Eigenschaften zuzuweisen.
(eine in der Unreal Engine 4.24 erstellte Halle)
Hier können verschiedene Materialien ausgewählt werden. Je nach Beschaffenheit und Größe des Raumes klingt der Hall dann dementsprechend.
(Phonetic Materials Menü der Steam Audio Extension in der Unreal Engine)
Aber nicht nur die Größe und Beschaffenheit des Raumes werden berücksichtigt, sondern auch die Position der Schallquelle.
Befindet sich das Klangobjekt in der linken Ecke des Raumes, so klingt es anders als in der rechten, da die Reflektionen an den Wänden/ Objekten im Raum unterschiedlich sind.
Somit werden gewissermaßen die Vorteile des Impulse Response Reverbs („echter akustischer Raum“) mit denen des algorithmischen Reverbs (maximale Flexibilität) kombiniert.
Jetzt haben wir einen Song in unserer Lieblings DAW und überlegen uns wie wir die „Räumlichkeit“ erzeugen wollen.
Dazu wird ein Raum in der Game Engine, beispielsweise der Unreal Engine, modelliert. Es kommt hier weniger auf die visuellen Qualitäten des Raumes an, sondern eher auf die verwendeten phonetischen Materialien der Wände und vor allem die Größe des Raumes. Spannend sind vor allem asymmetrische Räume, da sie später ein sehr räumliches Klangbild erzeugen.
Im nächsten Schritt werden alle Spuren gebounced, welche wir in unserem Raum platzieren wollen.
Diese erstellten waves files können nun als Objekt in die Game Engine geladen werden.
(Gitteransicht des Viewports der UE4)
Wurde alles so platziert wie man es gerne hätte positioniert man sich, den Hörer, selbst.
Nun können entweder alle Spuren gleichzeitig abgespielt und dann aufgenommen werden, oder es wird Spur für Spur durchgegangen und alles später, in der DAW, wieder zusammen gefügt.
Für die maximale Flexibilität und auch um im Nachhinein noch Veränderungen am Sound durchführen zu können können auch Impuls Antworten der jeweiligen Positionen aufgenommen werden.
(Sends mit geladenen Impulse Responses in Nuendo)
(Reverence Plugin mit IR)
(Vocal Stem des Songs Build for War der Band Mess up your DNA an verschiedenen Positionen des modellierten Raumes)
Weitere Möglichkeiten sich diese Technik zunutze zu machen findet man wenn man an Ambisonic Mixing denkt.
Gerade beim mischen in dolby atmos dünnt sich die Plugin Liste erfahrungsgemäß deutlich aus.
Mit der Möglichkeit auch Mehrkanal Outputs von Gameengines zu erzeugen (wie Beispielsweise dem 7.1.4 Format) können so die Optionen bedeutend erweitert werden.
ambisonic game game engine impulse response nuendo reverb unreal engine wavetracing